Was macht eine starke Story aus, die einen Podcast über mehrere Episoden trägt? Das verrät uns Sven Preger, Story Consultant, Co-Host vom Deep Talk bei Deutschlandfunk Nova und Chefreporter der Quarks Storys. Das Interview ist im Buch "Podcasts im Journalismus" erschienen.
Herr Preger, Sie haben ein Buch über Storytelling geschrieben und bieten Story Consulting an, vor allem für nicht-fiktionale Formate. Wie läuft das ab?
Zu mir kommen Redaktionen, Produktionsfirmen oder freie Autorinnen und Autoren mit Stoffen oder Geschichten, die in ganz unterschiedlichen Bearbeitungsstufen sind. Manchmal fehlt nur der letzte Schliff. Ich begleite aber auch den ganzen Prozess, von der Formatentwicklung bis zur finalen Veröffentlichung.
Geht es dabei vor allem um lange serielle Formate?
Oft, aber nicht nur. Auch in Talk-Formaten oder sogar in aktueller Berichterstattung kann man narrative und akustische Elemente einsetzen, um gebaute Beiträge, Kollegengespräche oder Interviews spannender, interessanter und besser zu machen. Alles natürlich mit der gebotenen journalistischen Sorgfalt.
Was unterscheidet Storytelling im Podcast vom klassischen Radiofeature?
Die Grundlagen sind in allen Medien dieselben. Aber aus meiner Sicht kommt gerade die Podcast-Form dem Storytelling sehr entgegen. Man ist flexibler in der Länge und kann die Intimität des Mediums nutzen. Durchs Hören über Kopfhörer erzeugen viele Podcasts eine besondere Nähe und können akustisch sogar dynamischer sein. Dabei haben Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeit, in der Story zurückzuspringen oder wieder einzusteigen, wenn es sich um eine komplexe Geschichte handelt. All diese Dinge machen Podcasts zu einem Einschaltmedium: Ich wähle bewusst Situation und Formate aus und mute mir selbst auch mehr zu als zum Beispiel im linearen Radio. Ein großer Unterschied zum eher klassischen Feature ist dabei außerdem die Erzählhaltung. Es geht im Podcast mehr darum, erzählerisch zu entdecken als zu präsentieren.
Wie erklären Sie die den Erfolg des Podcasts "Serial"? Lag das am Storytelling?
Auf jeden Fall auch. Natürlich erfüllt die Geschichte viele Voraussetzungen, um spannend erzählt zu werden. Man muss diese Elemente dann aber auch so gut und konsequent umsetzen, wie die Macherinnen und Macher von "Serial". Es gibt zum Beispiel eine klar etablierte Erzählerin, die zugleich Protagonistin ist und im Laufe der Folgen einen echten Erkenntnisprozess durchmacht. Zu ihr baue ich als Hörerin oder Hörer sehr schnell eine innige Verbindung auf. Außerdem steht etwas auf dem Spiel, schließlich geht es um einen möglichen Justizirrtum. Es steht zwar ein Einzelschicksal im Mittelpunkt, es geht aber gleichzeitig um etwas Größeres – nämlich darum, wie das Justizsystem in den USA funktioniert oder möglicherweise eben nicht funktioniert. Diese Welt entdecken wir nach und nach und denken die ganze Zeit mit: Kann es wirklich ein Justizirrtum sein? Damit sind wir als Hörende an die Geschichte gefesselt.
Was sind denn die akustischen Erzählelemente, die "Serial" so erfolgreich gemacht haben?
Interessanterweise ist "Serial" eher schlicht produziert. Es ist keine perfekt gebaute Klangwelt auf 50 Spuren. Im Gegenteil, der Sound ist eher ein bisschen dreckig, klingt nach Straße und Knast und vermittelt eben dadurch ein hohes Maß an Authentizität. Dazu gibt es die berühmte Klaviermelodie, die als Leitmotiv immer wiederkehrt. Dieses narrative Struktur-Element signalisiert: jetzt fasst Erzählerin Sarah Koenig etwas zusammen oder reflektiert das Gelernte. Das erzeugt einen Rhythmuswechsel in der Erzählung, der wiederum dafür sorgt, dass man dranbleibt. Gerade in Bezug auf so einen Rhythmuswechsel einer langen Erzählung sehe ich noch große Entwicklungsmöglichkeiten für Podcasts hier in Europa. Die behalten häufig denselben Rhythmus über die ganze Länge bei. Das wird schnell langweilig.
Wie erkenne ich eine gute Story?
Ich finde ein wichtiger Merksatz ist der Folgende: Eine Geschichte ist mehr als ein Thema. Das bedeutet: man sollte sich überlegen, welche Geschichte man erzählen will. Wer ist meine zentrale Figur? Was ist ihr Ziel? Was sind die Herausforderungen auf dem Weg zu diesem Ziel? Oder, wenn ich keine klassische Geschichte mit Protagonistinnen und Protagonisten erzählen will: Was ist meine Leitfrage oder These? Durch welche Szenen kann ich Facetten oder Argumente erfahrbar machen? Ohne Handlungs-Ebene wird es keine Geschichte werden. Gleichzeitig darf ich nicht künstlich dramatisieren oder mir die Sichtweise nur einer Person zu Eigen machen. Als Journalistin und Journalist muss ich offen bleiben für das, was sich aus der Recherche und aus der Situation vor Ort ergibt. Das ist auch eine moralische Verantwortung.
Inwiefern?
Denken wir an die Fälschungs-Skandale, die es im Journalismus leider immer wieder gegeben hat - auch im Podcast-Markt, wie der Fall von "Caliphate" bei der "New York Times" gezeigt hat. Storytelling heißt nicht, sich die Geschichte so hinzubiegen, wie man sie sich vorher überlegt hat. Oder einfach Dinge zu erfinden. Storytelling meint, sich zu fragen: Wie kann ich Realität angemessen abbilden? Dazu gehört natürlich auch, sich vorher Gedanken zu machen: Ist eine Geschichte überhaupt erzählbar? Wie kann man auf Grundlage von recherchierten Fakten Realität erfahrbar machen und spannend erzählen? Wichtig ist: Wenn ein Stoff nicht als Geschichte erzählbar ist, dann ist das ja kein Drama. Dann kann ich immer noch zu guten und bewährten anderen Audio-Darstellungsformen wie zum Beispiel Bericht oder Reportage greifen.
Sie haben vorhin gesagt, Storytelling funktioniert auch bei aktueller Berichterstattung und Talkformaten. Welche Tricks gibt es da?
Echte Breaking News leben von Kürze und Verständlichkeit, da braucht es keinen Spannungsbogen. Menschen wollen wissen, was los ist. Und genau das wird geliefert. Aber schon in tages-aktuellen Beiträgen funktioniert Storytelling durchaus. Zum Beispiel kann auch im linearen Radio die Moderation mit einem O-Ton beginnen, der wiederum eine Frage aufwirft. Diese wird dann im folgenden Beitrag oder Kollegen-Gespräch beantwortet. Storytelling ist eben Handwerk, das die klassischen und sinnvollen journalistischen Fähigkeiten ergänzt. Wenn beides zusammenkommt, dann ist das Produkt nicht nur von hoher journalistischer Qualität, sondern auch noch spannend zu hören – wie zum Beispiel bei "The Daily", ebenfalls von der "New York Times".
Wie kann das gelingen?
Ein Beispiel: Sie haben in einem Gesprächs-Podcast, der sich zum Beispiel um Berufe dreht, einen Anwalt zu Gast. Dieser soll erzählen, was sein schwerster Fall war. Im Journalismus sind wir gewohnt, die wichtigsten W-Fragen am Anfang zu beantworten. Das bedeutet aber auch, dass man Ergebnisse dramaturgisch vorwegnimmt. In dem gerade genannten Beispiel könnte ein Host also so was sagen wie: "Lassen Sie uns doch mal über Ihren schwersten Fall reden, den Sie ja damals verloren haben…" Das nimmt die Spannung raus. Stattdessen sollte man in diesem Fall lieber chronologisch erzählen und sich dabei die Bälle zuspielen. Was auch gut funktioniert: kleine Einspieler nutzen, um Hintergrundinformationen zu liefern oder Eindrücke zu schildern, die in dem Moment wichtig sind für das Gespräch. Das macht zum Beispiel der Podcast "Deutschland 3000" mit Eva Schulz. Auch im "Deep Talk" bei Deutschlandfunk Nova nutzen Rahel Klein und ich dieses Mittel. Das entlastet das Interview von mühseligen oder holprigen Passagen, in denen der Gast zum Beispiel seinen eigenen Lebenslauf nacherzählen soll. Außerdem wird der Host als Persönlichkeit noch erkennbarer.
Ohne Szenen geht es also nicht beim Storytelling?
Genau. Szenen sind essenziell, egal ob ich als Reporter:in in dem Moment dabei bin, wenn sie passieren, oder die Szenen von Personen nacherzählt werden - wobei auch die natürlich journalistisch überprüft werden müssen. Wir wollen ja durch Storytelling die Realität erfahrbar machen. Über Szenen tauche ich in diese Erfahrungswelt ein. Wenn ich immer nur auf der Reflektions-, Einordnungs- oder Meta-Ebene unterwegs bin, dann werden Podcasts nicht lebendig, sondern sehr schnell sehr abstrakt und dann auf Dauer eben langweilig. Gut ist es, wenn sich Szenen und Meta-Ebene oder Debatten abwechseln – dann entsteht das, was man Dichtheit oder Flow nennt.
Wie kann Musik die Erzählung unterstützen?
Grundsätzlich kann Musik aus meiner Sicht zwei Funktionen erfüllen: Sie kann mit Emotionen arbeiten oder die Struktur der Erzählung unterstützen. Emotional kann Musik entweder vorhandene Gefühle unterstreichen oder hervorheben oder die Stimmung einer Szene ausdeuten beziehungsweise kommentieren. Musik kann aber auch bestimmte Momente markieren oder Orientierung in der Erzählung geben, wie etwa beim berühmten Klavier von "Serial". Grundsätzlich sollte man sich wohl immer fragen: Was will ich mit Musik erreichen? Dann habe ich auch die Chance, die Debatte um Musik-Einsatz ein bisschen vom persönlichen Geschmack zu lösen.
Was wäre ein guter Rat für uns als zukünftige Erzähler im Podcast?
Ich finde: Ein guter Erzähler ist bescheiden. Als Host müssen wir uns selbst zurückzunehmen, um der Geschichte zu dienen. Das macht es für Hörerende auch einfacher, sich mit Hosts zu identifizieren. Die richtige Erzählhaltung im Podcast ist nicht von oben herab, sondern ist ein Erzählen und Entdecken auf Augenhöhe. Die Persönlichkeit des Host wird durch die Art und Weise erfahrbar, wie erzählt oder ein Gespräch geführt wird. Darüber hinaus finde ich eine transparente Selbstpositionierung wichtig. Das bedeutet, ich reflektiere aktiv meine eigene Haltung und Privilegien und erkläre, wie ich zu bestimmten Einschätzungen komme.
Was sind Ihre Hörempfehlungen für richtig gutes Storytelling?
Als aktueller Podcast macht "Der Tag" vom Deutschlandfunk sehr vieles richtig. Und "Deutschland 3000" mit Eva Schulz ist ein tolles Interview-Format. Im narrativen Bereich hat mich zum Beispiel "Vier Tage Angst" von Till Ottlitz sehr gefesselt und beeindruckt. Darin erzählt er die Geschichte, wie seine Mutter aus der DDR in die Bundesrepublik geflohen ist. Ganz großartig und konstruktives Storytelling ist der Podcast von Bastian Berbner "180 Grad. Geschichten gegen den Hass" vom NDR. Podcasts haben ja auch die Kraft, Geschichten und Perspektiven zu erzählen, die sonst zu wenig Gehör finden – und mir so vielleicht einen neuen Kosmos eröffnen. Wirklich toll finde ich da zum Beispiel "DragStories" von Taiina Grünzig, "Black & Breakfast" mit Jaide Fuchs & Joana Abondo, "Feuer & Brot" mit Alice Hasters & Maxi Häcke oder "Rice & Shine" mit Minh Thu Tran & Vanessa Vu. Da gibt es so viel zu entdecken, zu erleben, zu lernen und zu verstehen.
Herr Preger, Sie haben ein Buch über Storytelling geschrieben und bieten Story Consulting an, vor allem für nicht-fiktionale Formate. Wie läuft das ab?
Zu mir kommen Redaktionen, Produktionsfirmen oder freie Autorinnen und Autoren mit Stoffen oder Geschichten, die in ganz unterschiedlichen Bearbeitungsstufen sind. Manchmal fehlt nur der letzte Schliff. Ich begleite aber auch den ganzen Prozess, von der Formatentwicklung bis zur finalen Veröffentlichung.
Geht es dabei vor allem um lange serielle Formate?
Oft, aber nicht nur. Auch in Talk-Formaten oder sogar in aktueller Berichterstattung kann man narrative und akustische Elemente einsetzen, um gebaute Beiträge, Kollegengespräche oder Interviews spannender, interessanter und besser zu machen. Alles natürlich mit der gebotenen journalistischen Sorgfalt.
Was unterscheidet Storytelling im Podcast vom klassischen Radiofeature?
Die Grundlagen sind in allen Medien dieselben. Aber aus meiner Sicht kommt gerade die Podcast-Form dem Storytelling sehr entgegen. Man ist flexibler in der Länge und kann die Intimität des Mediums nutzen. Durchs Hören über Kopfhörer erzeugen viele Podcasts eine besondere Nähe und können akustisch sogar dynamischer sein. Dabei haben Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeit, in der Story zurückzuspringen oder wieder einzusteigen, wenn es sich um eine komplexe Geschichte handelt. All diese Dinge machen Podcasts zu einem Einschaltmedium: Ich wähle bewusst Situation und Formate aus und mute mir selbst auch mehr zu als zum Beispiel im linearen Radio. Ein großer Unterschied zum eher klassischen Feature ist dabei außerdem die Erzählhaltung. Es geht im Podcast mehr darum, erzählerisch zu entdecken als zu präsentieren.
Wie erklären Sie die den Erfolg des Podcasts "Serial"? Lag das am Storytelling?
Auf jeden Fall auch. Natürlich erfüllt die Geschichte viele Voraussetzungen, um spannend erzählt zu werden. Man muss diese Elemente dann aber auch so gut und konsequent umsetzen, wie die Macherinnen und Macher von "Serial". Es gibt zum Beispiel eine klar etablierte Erzählerin, die zugleich Protagonistin ist und im Laufe der Folgen einen echten Erkenntnisprozess durchmacht. Zu ihr baue ich als Hörerin oder Hörer sehr schnell eine innige Verbindung auf. Außerdem steht etwas auf dem Spiel, schließlich geht es um einen möglichen Justizirrtum. Es steht zwar ein Einzelschicksal im Mittelpunkt, es geht aber gleichzeitig um etwas Größeres – nämlich darum, wie das Justizsystem in den USA funktioniert oder möglicherweise eben nicht funktioniert. Diese Welt entdecken wir nach und nach und denken die ganze Zeit mit: Kann es wirklich ein Justizirrtum sein? Damit sind wir als Hörende an die Geschichte gefesselt.
Was sind denn die akustischen Erzählelemente, die "Serial" so erfolgreich gemacht haben?
Interessanterweise ist "Serial" eher schlicht produziert. Es ist keine perfekt gebaute Klangwelt auf 50 Spuren. Im Gegenteil, der Sound ist eher ein bisschen dreckig, klingt nach Straße und Knast und vermittelt eben dadurch ein hohes Maß an Authentizität. Dazu gibt es die berühmte Klaviermelodie, die als Leitmotiv immer wiederkehrt. Dieses narrative Struktur-Element signalisiert: jetzt fasst Erzählerin Sarah Koenig etwas zusammen oder reflektiert das Gelernte. Das erzeugt einen Rhythmuswechsel in der Erzählung, der wiederum dafür sorgt, dass man dranbleibt. Gerade in Bezug auf so einen Rhythmuswechsel einer langen Erzählung sehe ich noch große Entwicklungsmöglichkeiten für Podcasts hier in Europa. Die behalten häufig denselben Rhythmus über die ganze Länge bei. Das wird schnell langweilig.
Wie erkenne ich eine gute Story?
Ich finde ein wichtiger Merksatz ist der Folgende: Eine Geschichte ist mehr als ein Thema. Das bedeutet: man sollte sich überlegen, welche Geschichte man erzählen will. Wer ist meine zentrale Figur? Was ist ihr Ziel? Was sind die Herausforderungen auf dem Weg zu diesem Ziel? Oder, wenn ich keine klassische Geschichte mit Protagonistinnen und Protagonisten erzählen will: Was ist meine Leitfrage oder These? Durch welche Szenen kann ich Facetten oder Argumente erfahrbar machen? Ohne Handlungs-Ebene wird es keine Geschichte werden. Gleichzeitig darf ich nicht künstlich dramatisieren oder mir die Sichtweise nur einer Person zu Eigen machen. Als Journalistin und Journalist muss ich offen bleiben für das, was sich aus der Recherche und aus der Situation vor Ort ergibt. Das ist auch eine moralische Verantwortung.
Inwiefern?
Denken wir an die Fälschungs-Skandale, die es im Journalismus leider immer wieder gegeben hat - auch im Podcast-Markt, wie der Fall von "Caliphate" bei der "New York Times" gezeigt hat. Storytelling heißt nicht, sich die Geschichte so hinzubiegen, wie man sie sich vorher überlegt hat. Oder einfach Dinge zu erfinden. Storytelling meint, sich zu fragen: Wie kann ich Realität angemessen abbilden? Dazu gehört natürlich auch, sich vorher Gedanken zu machen: Ist eine Geschichte überhaupt erzählbar? Wie kann man auf Grundlage von recherchierten Fakten Realität erfahrbar machen und spannend erzählen? Wichtig ist: Wenn ein Stoff nicht als Geschichte erzählbar ist, dann ist das ja kein Drama. Dann kann ich immer noch zu guten und bewährten anderen Audio-Darstellungsformen wie zum Beispiel Bericht oder Reportage greifen.
Sie haben vorhin gesagt, Storytelling funktioniert auch bei aktueller Berichterstattung und Talkformaten. Welche Tricks gibt es da?
Echte Breaking News leben von Kürze und Verständlichkeit, da braucht es keinen Spannungsbogen. Menschen wollen wissen, was los ist. Und genau das wird geliefert. Aber schon in tages-aktuellen Beiträgen funktioniert Storytelling durchaus. Zum Beispiel kann auch im linearen Radio die Moderation mit einem O-Ton beginnen, der wiederum eine Frage aufwirft. Diese wird dann im folgenden Beitrag oder Kollegen-Gespräch beantwortet. Storytelling ist eben Handwerk, das die klassischen und sinnvollen journalistischen Fähigkeiten ergänzt. Wenn beides zusammenkommt, dann ist das Produkt nicht nur von hoher journalistischer Qualität, sondern auch noch spannend zu hören – wie zum Beispiel bei "The Daily", ebenfalls von der "New York Times".
Wie kann das gelingen?
Ein Beispiel: Sie haben in einem Gesprächs-Podcast, der sich zum Beispiel um Berufe dreht, einen Anwalt zu Gast. Dieser soll erzählen, was sein schwerster Fall war. Im Journalismus sind wir gewohnt, die wichtigsten W-Fragen am Anfang zu beantworten. Das bedeutet aber auch, dass man Ergebnisse dramaturgisch vorwegnimmt. In dem gerade genannten Beispiel könnte ein Host also so was sagen wie: "Lassen Sie uns doch mal über Ihren schwersten Fall reden, den Sie ja damals verloren haben…" Das nimmt die Spannung raus. Stattdessen sollte man in diesem Fall lieber chronologisch erzählen und sich dabei die Bälle zuspielen. Was auch gut funktioniert: kleine Einspieler nutzen, um Hintergrundinformationen zu liefern oder Eindrücke zu schildern, die in dem Moment wichtig sind für das Gespräch. Das macht zum Beispiel der Podcast "Deutschland 3000" mit Eva Schulz. Auch im "Deep Talk" bei Deutschlandfunk Nova nutzen Rahel Klein und ich dieses Mittel. Das entlastet das Interview von mühseligen oder holprigen Passagen, in denen der Gast zum Beispiel seinen eigenen Lebenslauf nacherzählen soll. Außerdem wird der Host als Persönlichkeit noch erkennbarer.
Ohne Szenen geht es also nicht beim Storytelling?
Genau. Szenen sind essenziell, egal ob ich als Reporter:in in dem Moment dabei bin, wenn sie passieren, oder die Szenen von Personen nacherzählt werden - wobei auch die natürlich journalistisch überprüft werden müssen. Wir wollen ja durch Storytelling die Realität erfahrbar machen. Über Szenen tauche ich in diese Erfahrungswelt ein. Wenn ich immer nur auf der Reflektions-, Einordnungs- oder Meta-Ebene unterwegs bin, dann werden Podcasts nicht lebendig, sondern sehr schnell sehr abstrakt und dann auf Dauer eben langweilig. Gut ist es, wenn sich Szenen und Meta-Ebene oder Debatten abwechseln – dann entsteht das, was man Dichtheit oder Flow nennt.
Wie kann Musik die Erzählung unterstützen?
Grundsätzlich kann Musik aus meiner Sicht zwei Funktionen erfüllen: Sie kann mit Emotionen arbeiten oder die Struktur der Erzählung unterstützen. Emotional kann Musik entweder vorhandene Gefühle unterstreichen oder hervorheben oder die Stimmung einer Szene ausdeuten beziehungsweise kommentieren. Musik kann aber auch bestimmte Momente markieren oder Orientierung in der Erzählung geben, wie etwa beim berühmten Klavier von "Serial". Grundsätzlich sollte man sich wohl immer fragen: Was will ich mit Musik erreichen? Dann habe ich auch die Chance, die Debatte um Musik-Einsatz ein bisschen vom persönlichen Geschmack zu lösen.
Was wäre ein guter Rat für uns als zukünftige Erzähler im Podcast?
Ich finde: Ein guter Erzähler ist bescheiden. Als Host müssen wir uns selbst zurückzunehmen, um der Geschichte zu dienen. Das macht es für Hörerende auch einfacher, sich mit Hosts zu identifizieren. Die richtige Erzählhaltung im Podcast ist nicht von oben herab, sondern ist ein Erzählen und Entdecken auf Augenhöhe. Die Persönlichkeit des Host wird durch die Art und Weise erfahrbar, wie erzählt oder ein Gespräch geführt wird. Darüber hinaus finde ich eine transparente Selbstpositionierung wichtig. Das bedeutet, ich reflektiere aktiv meine eigene Haltung und Privilegien und erkläre, wie ich zu bestimmten Einschätzungen komme.
Was sind Ihre Hörempfehlungen für richtig gutes Storytelling?
Als aktueller Podcast macht "Der Tag" vom Deutschlandfunk sehr vieles richtig. Und "Deutschland 3000" mit Eva Schulz ist ein tolles Interview-Format. Im narrativen Bereich hat mich zum Beispiel "Vier Tage Angst" von Till Ottlitz sehr gefesselt und beeindruckt. Darin erzählt er die Geschichte, wie seine Mutter aus der DDR in die Bundesrepublik geflohen ist. Ganz großartig und konstruktives Storytelling ist der Podcast von Bastian Berbner "180 Grad. Geschichten gegen den Hass" vom NDR. Podcasts haben ja auch die Kraft, Geschichten und Perspektiven zu erzählen, die sonst zu wenig Gehör finden – und mir so vielleicht einen neuen Kosmos eröffnen. Wirklich toll finde ich da zum Beispiel "DragStories" von Taiina Grünzig, "Black & Breakfast" mit Jaide Fuchs & Joana Abondo, "Feuer & Brot" mit Alice Hasters & Maxi Häcke oder "Rice & Shine" mit Minh Thu Tran & Vanessa Vu. Da gibt es so viel zu entdecken, zu erleben, zu lernen und zu verstehen.